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„Mutti,
ich gehe noch schnell etwas einkaufen morgen ist schon wieder Sonntag.“
„Ja,
Kind, tu das,“ sagte Mutti zu mir.
Mutti
ist einundneunzig Jahre alt und ich, „das
Kind “, bin sechsundsechzig Jahre alt. Aber ich freue mich immer
wenn sie es zu mir sagt. „Den Hund nehme ich auch mit“, rufe ich ihr
noch zu und öffne die Wohnungstür. Ich stehe in einem geräumigen Flur
von dem aus man in zwei weitere Wohnungen kommen kann. Dann ist da auch
noch die Fahrstuhltür und auf die steuere
ich zu.
Mutti
wohnt in der neunten Etage, da ist ein Fahrstuhl unerlässlich. Doch ich
stoppe meine Schritte, als ich am Fahrstuhl eine kleine gelbe Tafel hängen
sehe. Darauf steht folgendes:
„Bitte
haben Sie etwas Geduld, der Fahrstuhl wird gewartet“.
Also
nein, an einem Samstagvormittag wird der Fahrstuhl gewartet? Da müsste
man doch eigentlich vorher informiert werden. Ich gehe wieder in die
Wohnung. Aber in regelmäßigen kurzen Abständen sehe ich hinaus auf den
Flur, ob vielleicht die gelbe Tafel schon entfernt wurde. Doch die hängt
und hängt.
Dann
sehe ich aber einen jungen Mann in einem Arbeitsoverol im Flur stehen. Er
ist scheinbar zu Fuß die neun Etagen hoch gekommen, denn er pfeift aus
dem letzten Loch. Mit hochrotem Gesicht und nach Luft ringend steht er vor
mir. Ich nutze diese Zeit seiner Sprach- losigkeit, um mir Luft zu machen über
den Ärger mit dem Fahrstuhl.
„Wie
kann man an einem Samstagvormittag den Fahrstuhl warten. Hat Ihre Firma
sonst keine Zeit?“
Er winkt
mit der einen Hand ab und sagt dann noch etwas atemlos:
„Der
Lift ist defekt“.
„Ach,
der ist also kaputt,“ sagte ich.
„Dann
entschuldigen Sie bitte meinen Ärger ich wollte ihn nicht an Sie
auslassen. Aber vor zwei Stunden etwa bin ich noch mit dem Lift gefahren,
da kann ich ja wohl von Glück sagen, dass ich nicht in dem Lift war, als
er kaputt ging.“
Ich
sagte nun auch Lift. Fahrstuhl ist altmodisch ein moderner Mensch sagt
Lift. Das Schild ist auch altmodisch darauf steht Fahrstuhl. Na, egal.
Lift oder Fahrstuhl, wenn er nur wieder fährt.
„Wann
kann ich ihn denn wieder benutzen ?“
„Nicht
vor Montag“ bekam ich zur Antwort. Irrte ich
mich, oder klang da ein bisschen Schadenfreude durch? „ Der Schaden ist
erheblich, ein Halteseil ist gerissen. Das kann ich nicht alleine beheben.
Am Montag kommt der Reparaturwagen“, sagte der junge Mann und lief die
Treppe hinunter.
„Ein
Halteseil ist gerissen, das ist ja furchtbar“ rief ich ihm noch nach.
„ Ja, aber abgestürzt wäre er nicht, da gibt es noch ein
Sicherungsseil. Der Lift war auch leer als es passierte,“ rief er zurück
und entschwand.
Da
habe ich ja wohl richtig Glück gehabt, dass mir das nicht passiert ist.
In Gedanken sehe ich über
meinem Kopf meinen Schutzengel aufgeregt mit den Flügeln schlagen. Vielen
Dank lieber Schutzengel sagte ich zu
ihm.
Ich
stehe nun etwas hilflos da, denn ich muss doch runter zum Einkaufen. Wenn
ich mich jetzt nicht beeile, sind die Geschäfte geschlossen. Ganz langsam
wird mir klar, dass ich auch die Treppe nehmen muss. „Also los, wird
schon nicht so schlimm sein, komm Tommy wir laufen,“ sagte ich zu meinem
Hund und machte ihn von der Leine los. Im Treppen laufen war er schneller
als ich. Nach der vierten Etage merkte ich mein rechtes Knie. Das fehlt
gerade noch, dass das Knie wieder anfängt, dachte ich ärgerlich.
Ansonsten war das Hinuntergehen gar nicht so anstrengend. Nach etwa einer
Stunde kam ich vom Einkaufen zurück. Ich bin extra noch ausgiebig mit dem
Hund durch den nahen Park gegangen, damit ich nicht so schnell wieder die
Treppen runter muss. Als ich zurück war und in den Hausflur kam,
hing das Schild natürlich immer noch am Lift.
Irgendwie hatte ich auf ein kleines Wunder gehofft. Es war natürlich
keines geschehen. Nun also die Treppe wieder hinauf und zwar mit gefüllter
Tasche.
Es
hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass der Lift nicht ging. Das
Treppenhaus ist irgendwie zum Leben erweckt worden. Normalerweise sah man
kaum einen Menschen. Ab und zu traf man Jemanden im Lift und dann grüßte
man sich, weil man ja gemeinsam den Lift benutzte, aber ob es ein
Hausbewohner war, erfuhr man dabei selten. Wir kannten unsere Wohnungs-
nachbarn auf der
gleichen Etage, aber sonst nur noch ein oder zwei Mitbewohner des Hauses.
Ich kannte sowieso nicht so viele, weil ich doch immer nur ein paar Tage
blieb. Dann sah man sehr oft den Umzugswagen vor der Tür stehen. Die
Bewohner wechselten also auch recht häufig. Ich überlegte zum erstenmal
wie viele Menschen in diesem Hause wohnen könnten. Bei dreißig Wohnungen
können es sechzig bis siebzig Personen sein.
Drei
Erwachsene und zwei Kinder kamen mir entgegen. Kinder hatte wir also auch
im Haus.
„
Hallo, so lernt man sich mal kennen,“ sagte ich freundlich und alle
lachten. Es war richtig ein bisschen aufregend diese neue Situation mit
dem kaputten Lift. Ich hatte auch kein großes Problem mit dem Treppen
steigen. Ab und zu blieb ich mal einige Minuten stehen, dann ging es
wieder weiter. Das Problem machte ein ganz anderer. Mein Hund hatte nach
der vierten Etage genug vom Hinauflaufen und blieb einfach auf dem
Zwischenabsatz sitzen. „Also gut eine kleine Pause, aber dann geht es
weiter. Glaube ja nicht, dass ich dich tragen werde.“ Sehr energisch
sagte ich das zu ihm, um ja keine Hoffnungen aufkommen zu lassen. Immerhin
wiegt er fünfzehn Kilo.
Ich
musste ihm aber immer wieder sehr gut zu reden, damit er die letzten
Treppen hoch steigt. Dann war es endlich geschafft. Für diesmal! Aber
mir ging es so durch den Kopf, dass Tommy es gewohnt war,
mindestens vier mal am Tag Gassi zu gehen.
Gegen
Abend war es wieder so weit. Ich hatte es so lange wie möglich hinaus gezögert,
aber nun musste es sein. Tommy lief frohgemut aus der Wohnung, hin zur
Fahrstuhltür. Aber da hing ja das kleine Schild. „Komm, wir gehen die
Treppen hin unter“, rief ich ihm zu. Seine Begeisterung hielt sich in
Grenzen. Runter ging ja noch.
Draußen
war es schon dunkel geworden. Wir hatten Dezember. Adventszeit. Aber für
diese dunkle Jahreszeit hatte sich die Stadt etwas ganz besonders Schönes
ausgedacht. Auf den Straßen standen eiserne, oben offene Eisenbecken, in
denen es geheimnis- voll glühte. Holzstücke flackerten manchmal hell auf
und gaben eine wohlige Wärme ab und es duftete herrlich. Karussells
standen in den Straßen und man hörte leise Weihnachtsmusik. Auf dem
Marktplatz stand ein hölzernes „ Riesenrad“. Wenn die Gondeln nicht
alle belegt waren für eine Fahrt, dann wurden in die leeren Gondeln
kleine Sandsäcke gepackt, damit das Gleichgewicht stimmte. Es knarrte mächtig
und drehte sich nur sehr langsam, aber es war herrlich. Dann duftete es
natürlich auch nach Weihnachtspunsch
und nach Grillwurst. Wenn wir an diesen Buden vorbei gingen, kontrollierte
Tommy erst mal die Umgebung. Hatte vielleicht jemand seine Wurst nicht
ganz gegessen? Wir machten
einen großen Spaziergang durch die ganze Stadt. In einigen Häusern
hatten die Leute in ihren Fenstern hübsche Spielsachen aufgebaut,
dazwischen lagen rotwangige Äpfel und kleine Tannenzweige. Mir fiel das
Weihnachts- gedicht von Heinrich von Eichendorf ein, in dem es hieß:
An
den Fenstern haben Frauen buntes Spielzeug fromm geschmückt - tausend
Kinder stehen und schauen - sind so inniglich beglückt.
Ja,
auch mich beschlich so ein Gefühl, allerdings fiel mir dann auch wieder
die Geschichte mit unserem Lift ein. Also, überlegte ich nun einmal ganz
sachlich, für heute war der Hund genug raus gewesen. Ich musste heute nur
noch einmal die Treppen hinauf gehen. Morgen, am Sonntag, also vier mal
die Treppen rauf und runter. Acht mal
mit heute Abend neun mal. Mein lieber Schwan. Was wohl mein Knie
dazu sagen wird.
Ich
schloss die Hautür auf und ermunterte Tommy
die paar Stufen hoch zu laufen. Ich machte ihm Mut. „Das schaffst
du doch leicht“ Er hat eine
Art mich an zu sehen, bei der ich mir nicht sicher bin, ob er nicht doch
denken kann. Zum Beispiel :
„Na,
die kann mit viel erzählen, von wegen die paar Stufen,
ganze neun Etagen sind es in Wirklichkeit..“
In
der zweiten Etage erwartete mich eine Überraschung. Es stand ein Stuhl im
Treppenhaus mit einem Zettel dran auf dem zu lesen stand:
„
Für die kleine Pause.“
Also
das fand ich nun ganz besonders nett. Ich habe ihn gleich aus probiert.
Als ich
am nächsten Morgen das erste mal die Treppen hinunter gehen wollte,
schaute ich mal von oben über das Treppengeländer. Die Treppe wand sich
wie ein dicker langer Wurm in die Tiefe. Am liebsten hätte ich mich auf
das Treppengeländer geschwungen und wäre, wie in der Kinderzeit,
hinunter gerutscht. Aber das war natürlich nur ein frommer Wunsch und
viel zu gefährlich. Als ich an den einzelnen Etagen vorbei kam, standen
nun überall Stühle mit kleinen Zetteln dran.“ Für die kleine Pause“
oder
„
Wenn die Beine nicht mehr wollen“
Einige
hatten sogar ihre Wohnungstüren leicht geöffnet und wenn sie jemanden hörten,
dann erschien ein Kopf in der Tür und sagte freundlich „Guten
Morgen.“ Ich grüßte freudig zurück. Die eigene Stimmung stieg doch
gleich, wenn man freundlich gegrüßt wird. Manchmal hatte man auch
Gesellschaft, wenn man rauf oder runter ging und es kam zu kleinen
Unterhaltungen. Ja, und mein Knie tat mir auch nicht mehr weh. Treppen
steigen tut gut. Dann kam der Tag meiner Abreise. Der Lift war noch nicht
repariert und für meine Mutter wollte nun meine Nichte ein bisschen
sorgen. Als ich einige Wochen später wieder mal zu meiner Mutter fuhr,
war der Lift natürlich längst heil gemacht worden. Ich war alleine in
der Kabine als ich nach oben fuhr und es tat mir fast ein bisschen leid,
dass die Technik wieder funktionierte.
Elvira Schütze
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