Ein Glück, dass es Babettchen gibt.
von Elvira Schütze


An einem sehr heißen Sommertag saß ich mit vielen anderen Bürgern unserer kleinen Heimatstadt Barmstedt  in einem Bus, um nach Frankreich, in unserer Partnerstadt zu fahren. Wir waren schon sehr früh losgefahren, aber selbst zu dieser frühen Stunde war auf der Autobahn schon der Teufel los. Alle hatten wegen der Hitze ihre Fahrt früher angetreten. Auf der ziemlich langen Fahrt nach Rossy en Brie, so heißt diese Stadt nahe bei Paris, hat uns natürlich die Hitze so zu schaffen gemacht, dass immer wieder Pausen eingelegt wurden. Einmal mussten wir sogar von der Autobahn runter fahren, weil der Bus einen Defekt hatte. Das Autobahnnetzt rund um Paris ist so verwirrend, dass wir erst nach einigem Hin und Her die richtige Abfahrt gefunden hatten. Als wir endlich ankamen waren wir alle sehr froh und wir wurden schon ungeduldig erwartet. Unsere Gastfamilien hatten sich längst eingefunden und begrüßten uns stürmisch. Es gab einen Begrüßungscoktail und etwas zu knabbern, kleine Leckereien, die man nur in Frankreich so gut zu machen versteht. Wir waren natürlich total fertig von der langen Fahrt, aber die herzliche Begrüßung machte alles wieder wett. Man wird herum gereicht und völlig fremde Menschen nehmen mich in den Arm und Küsschen links und Küsschen rechts. Dann werden irgendwann unsere Namen aufgerufen und man lernt seine Gastfamilie kennen. Ich musste auch erst lernen, daß mein Name sich ganz anders anhört, wenn ein Franzose ihn ausspricht. Meine Gasteltern hießen Francars und Emanuel. Als wir an ihrem Haus ankamen, lernte ich ihre vier Kinder kennen. Jean Marie, Anne , Ceciel und der kleine Jan Babtiste. So viele Namen auf einmal zu hören, dass war fast zu viel für mich. Besonders nach der langen Fahrt und dem doch recht gehaltvollem Begrüßungscoktail. Ich war total fertig und wollte eigentlich nur noch duschen und schlafen. Im Garten vor dem Haus begrüßte mich dann noch eben so herzlich wie stürmisch Babattchen. Ein kleiner brauner strubbeliger Hund verschiedenster Rassen. Sie hatte wunderschöne berstein- farbene Augen. Besonderes Kennzeichen: „zur Zeit  schwanger.“ Elvira, möchten Sie ein Baby von Babettchen haben, es muss bald soweit sein, fragte mich Francars. Ich wehrte erschrocken ab. Wir gingen ins Haus und ein herrlicher Essenduft umwehte mich. Ich bekam sofort Appetit und dachte ade mein Bett, nun wird erst mal schön gegessen. Ich wurde weiter ins Wohnzimmer geführt und da bekam ich doch einen gehörigen Schreck. Da saßen mindestens fünfzehn Damen. Alle hatten ein Liederbuch in der Hand. Der Hausherr setzte sich ans Klavier und alle fingen an zu singen. Jemand drückte mir auch ein Buch in die Hand und ich sollte mit singen, was mir nach einigem zögern auch ganz gut gelang. Die Melodien kamen mir bekannt vor und den Text konnte ich ja ablesen. Man sagte mir, dass das der Kirchenchor sei, der jede Woche hier seine Probe abhält. Emanuel ist der Chorleiter. Also die saßen hier nicht etwa meinetwegen. Dann, nachdem alle gegangen waren, wurde gegessen. Auf den Tisch kamen die herrlichsten Sachen, Pasteten, Salate, Brot, Eis, frische Himbeeren und zum Schluss noch eine Käseplatte. Dazu einen schönen Rotwein und zur Feier des Tages Champagner. Ich war nach alle dem sehr satt und sehr müde, denn  das Essen hatte doch mindestens zwei Stunden gedauert. Ich denke intensiv an mein Bett. Die Familie unterhält sich lebhaft und ich verstehe nicht sehr viel davon. Der Kleine spielt mit dem Essen herum und krümelt alles unter den Tisch. Aber da lauert schon Babettchen und leckt alles auf. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Da sagt Emanuel plötzlich: „ Jetzt fahren wir noch nach Paris“.  Paris bei Nacht ein herrlicher Gedanke. Meine Müdigkeit ist verflogen. Alle stehen auf und rennen  plötzlich durcheinander. Wir decken schnell den Tisch ab. Dabei fällt die Weinflasche um und eine kleine Lache ergießt sich auf den Steinfußboden. Ich will noch schnell ein Tuch holen um sie auf zu wischen aber keine Zeit, keine Zeit. Paris, Paris. Alle steigen ins Auto und los geht es. Emanuel fährt mit uns ins Studentenviertel. Trotz der vorgerückten Stunde sind viele Menschen auf der Straße. Wir stehen auf einer Seinebrücke und bestaunen den riesengroßen Vollmond der am Himmel thront. Langsam schlendern wir durch die Straßen und beobachten eine Gruppen junger Mädchen, die einen jungen Mann in ihrer Mitte haben und ihm unter viel Gejohle nach einander alle Sachen ausziehen um diese dann wie Trophäen in der Luft herum schleudern. Wir lachten und johlten mit ihnen. Was für ein Leben. Die herrlichen Bauten an denen wir vor bei kommen erzählen Geschichte. Notre Dame steht hoch und majestätisch im hellen Mondlicht und ich fange an nach dem Glöckner aus schau zu halten. So schön es auch ist, wir fahren nun doch wieder nach Hause, denn die Kinder können kaum noch ihre Augen aufhalten. Auf der Rückfahrt im Auto singen wir zur Abwechslung einmal deutsche Volkslieder. Wieder im Haus verschwinden die Kinder sofort in ihre Zimmer. Emanuel lässt es sich nicht nehmen, uns noch einen Schlaftrunk zu servieren. Selig schlafend liegt Babettchen in der Sofaecke, und die Rotweinlache ist fein säuberlich aufgeleckt worden. Ein Glück, dass es Babettchen gibt.
Elvira Schütze